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Marianne Engel, Fotografie//

Sybil Tschopp, Zeichnungen///

Into temptation, over in doubt//



30. September bis 16. Oktober 2004///
Vernissage Mittwoch, 29. September, ab 18h//


Die Frage nach der Beweiskraft in der Fotografie bildete den Ausgangspunkt für die Zusammenarbeit mit den zwei jungen Künstlerinnen Marianne Engel und Sybil Tschopp. Ihre bis dahin meist fotografischen Arbeiten waren beide immer wieder der Relativität von Wahrheit, Wahrnehmung und Realität nachgegangen und könnten dennoch unterschiedlicher nicht sein.

Was aber unisono beim Betrachter zurückblieb, war das leise Misstrauen gegenüber dem was sichtbar ist, der mehr oder weniger subtile Verweis auf etwas Anderes, was nicht benennbar scheint. Etwas was durch seine vordergründige Abwesenheit umso dringender zu sein scheint.

Dieser verweis auf ein Thema im Sinne von Wahrheitsbegriff und Beweiskraft in der Fotografie war auch die Motivation eine Gruppenausstellung zu gestalten, bei der die schlussendliche Form der Zusammenarbeit von vornherein völlig offen war.

Die jetzige Ausstellung into tempation, over in doubt ist nicht nur das formale Ergebnis einer intensiven bis schwierigen Zusammenarbeit, sondern thematisiert inhaltlich die Unmöglichkeit einer gemeinsamen Wahrheitsdefinition. So sind denn die Arbeiten der beiden Künstlerinnen im Bezug auf das Thema vor allem extreme Polarisierungen, das Dazwischen konnte in der gemeinsam erarbeiteten Thematik nicht ermittelt werden.

Aus der Tradition der zeitgenössischen Fotografie und ihrer klaren Ästhetik haben sich sowohl Marianne Engel als auch Sybil Tschopp längst gelöst. Während Marianne Engel ihre Bilder durch mehrfach- Belichtungen und Farbbearbeitung ohne Rücksicht auf geltende Normen mit Mehrdeutigkeiten auflädt, hat sich Sibyl Tschopp mit der in der bevorstehenden Ausstellung into temptation, over in doubt gezeigten Arbeiten ganz von der Fotografie getrennt.

Sybil Tschopps Atom-Zeichnungen sind am Computer angefertigte Zeichnungen, die sich auf einer imaginär atomaren Ebene abspielen; die Kreuzchen sind Atome.

In Anlehnung an wissenschaftliche Zeichnungen versuchen sie die “Sprache der Wahrheit” auf das vage Gebiet der Gefühle anzuwenden und zugleich einer pseudowissenschaftlichen Studie emotionale und seelische Prozesse zu unterlegen. Die atom-zeichnungen beschreiben Gefühle, emotionale oder andere Zustände; Situationen die in zwischenmenschlicher Interaktion entstehen können. Die menschliche Nähe die Sybil Tschopps Atom Zeichnungen in einer eigenartig wissenschaftlichen Fremdsprache zu formulieren versuchen, lassen den Betrachter irgendwo im Spannungsfeld zwischen erklärender Symbolik und schlichtem Abbild pendeln, aus keine festen Schlüsse gezogen werden können.

Wie das Skizzenbuch eines Physikstudenten scheinen einzelne Zeichnungen bestimmte zustände beschreiben zu wollen, ihrer inhaltlichen und formalen Sprache kann sich der Betrachter jedoch vollends erst in der erstaunlichen Vielfalt der Atom-Zeichnungen nähern. Es ist schlussendlich auch dieser beinahe obsessive Versuch, menschliche Emotionen und Zustände in eine wissenschaftliche Formsprache zu bringen, sie endlich verlässlich zu machen, der tief berührt.

Die Bio- Chemikerin Marianne Engel hingegen hat sich ihrerseits von wissenschaftlichen Beweisformen zur Fotografie hingewandt. Marianne Engel fotografiert viel in der Natur, immer wieder erscheint sie selbst irgendwo im Bild, manchmal andere Personen. Ihre Fotografien zeigen die Welt der Autorin von einer äusserst rätselhaften und surrealen Aeite. Sie scheinen zeugen seltsamer Zwischenwelten zu sein, als ob dingliches in psychische Welten verwandelt würde.

Vordergründig idyllisch, öffnen sich dem Betrachter unerwartete Unheimlichkeiten und Erzählstrukturen, die nicht nur von ihrer zufälligen, oft performativen Entstehung sprechen. Es ist als ob dieses wirken, welches in Marianne Engels Bilder in der Natur am stärksten seinen Ausdruck findet, durch den fotografischen Akt überhaupt sichtbar wird. Die Natur scheint plötzlich beseelt, in aller schaurig- schönen Gewalt.

Marianne Engels Bilder sind keine subtilen Andeutungen eines leisen Misstrauens an der allgemeinen Realität. Sie sind alles andere als ein unterschwelliger verweis auf verborgene Welten. Ihre Fotografien sind wahre Farb und Sinnesorgien, gewaltig in ihrer Deutlichkeit. Zu intensiv und eigensinnig um esoterischer Kitsch zu sein, wirken Marianne Engels Bilder vielmehr erschütternd, man ist beunruhigt und schaudert ob soviel Opulenz und morbider Pracht.

Jean-Claude Freymond-Guth

Les Complices*

 

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