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KUNST Fotoausstellung «Utoparch» von Marianne Engel in Ennetbaden

Fabelwesen im Dämmerlicht


Geisterhafte Szenerien, unwirkliches Licht, kuriose Doppelwesen: Marianne Engel entwirft in ihren Fotografien eine künstliche Welt. Live traf sich mit der 31-Jährigen zu einem Gespräch über Fantasie, Fotos und den Reiz der Dämmerung.

«Buchstaben und Zahlen haben für mich Farben», lächelt Marianne Engel verlegen. «Schon als kleines Kind war das so.» Man nimmt ihr das Mädchenhafte noch heute ab. Ihr, der 31-Jährigen, die scheu dasitzt, in Shirt und Schlaghosen, die dunklen Haare zum Pferdeschwanz gebunden. Man zweifelt auch nicht an ihrer Vorstellungskraft. Verblüfft ist man trotzdem: Von der studierten Biochemikerin hätte man mehr naturwissenschaftliche Nüchternheit erwartet.
Doch das scheinbar Widersprüchliche zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Biografie. «Naturwissenschaft und Kunst standen immer parallel nebeneinander», erinnert sie sich. «Nach der Bezirksschule machte ich die Aufnahmeprüfung für den Vorkurs an der Kunstgewerbeschule, bestand aber nicht.» So besucht sie die Kantonsschule, schliesst den Typus C mit der Matur ab. Reicht nochmals ihre Unterlagen für die Kunstgewerbeschule ein. Besteht wieder nicht. Entschliesst sich für ein Kunstgeschichtsstudium und bricht nach einem Semester ab. «Nein, das interessierte mich nicht», sagt sie bestimmt und zieht den Schlussstrich nochmals mit einer schneidenden Handbewegung nach. «Ich wollte Kunst machen, das ist ein grundlegender Unterschied.»
Bis sie ihren Entschluss umsetzt, vergehen fünf weitere Jahre. «Aber seit ich mein Studium im Herbst 2001 abgeschlossen habe, bin ich ganzzeitig dran.» Die zwei Tage nicht mitgezählt, an denen sie im Uni-Labor aus Schwanzspitzen von Mäusen zu Forschungszwecken DNA extrahiert. Was sie dabei verdient, «reicht irgendwie zum Leben». Grosse Ansprüche stellt sie keine. Eine Einzimmer-Dachwohnung in Baden und ein Töffli genügen ihr.
Damit kommt sie auch in 40 Minuten nach Mandach. «Alle Strässchen haben für mich immer noch die Namen, die ich ihnen als Kind gab, dort wird meine ganze Fantasiewelt von damals wieder lebendig», schwärmt Engel. Und auf den immergleichen Spaziergängen durch die wenige hundert Einwohner zählende Gemeinde findet sie ihre Motive. «Die Bilder zeigen sich mir. Ich brauche die Dämmerung oder den Nebel, damit ich sehen kann. Es ist ein Unterschied, wie ich sehe, wenn ich fotografieren kann», sagt Engel, die vor wenigen Monaten von einer Kleinformat- auf eine Mittelformat-Kamera gewechselt hat.
In weisse Plastikfolie eingepackte Heuballen werden bei ihr zu geisterhaft in der Landschaft verstreuten «Teufelseiern», dramatisch beleuchtet von einem gelblichen Himmel. Den Schulhausplatz nutzt sie für eine Performance, in der sie sich selbst als gespenstisches Doppelwesen mit einem Ast in der Hand inszeniert. «Die Atmosphäre des Bildes soll die Fantasie des Betrachters anregen», wünscht sich Engel, die ihre Fotografien in Belichtungszeiten von bis zu zehn Minuten realisiert. «Der Ort ist für den Betrachter nicht wichtig, ich möchte, dass das Bild für sich steht.» Für Engel selber mögen die Wahl des Ortes und ihr persönliches Erinnern zusammenhängen. «Es ist schon fast ein Ritual, dass meine Mutter und ich, oft kommt noch eine der drei Katzen mit, in Vollmondnächten einen Spaziergang machen.»
Wahrscheinlich kann Engel dann staunen. Darüber, wie das Licht des Mondes die Landschaft silbern übergiesst. Und sie, die «nicht einordnungsbar, Teufel und Engel» sein möchte, schätzt an anderen Menschen, «wenn sie staunen können. Wenn sie wach sind und nicht abgelöscht. Wenn sie glitzern wie Diamanten.»
Staunen, dieses Wort braucht Engel während des Gesprächs immer wieder. Staunen meint das Herausragende, das Hervorstechende. Sie staune, wenn sie die Kamera auf ein Motiv richte. Geht sie die Negative durch und staunt bei einem, gibts davon einen Papierabzug. Später wird diese erste Auswahl zur weiteren Prüfung an die Wände ihrer Einzimmerwohnung gehängt. «Ich lasse sie wirken, lebe damit. Dann zeigt sich, welche bestehen.»
Mit Metallic-Papier möchte Engel noch mehr Glanz in ihre Abzüge bringen. Den Sättigungsgrad der Farben und die Kontraste erhöht sie am Computer. «Mir gefällt es am besten, wenn meine Bilder leuchten. So, wie die Welt in der Dämmerung leuchtet.»

Barbara Suter
ENNETBADEN photogalerie 94 Limmatauweg 9
Vernissage Sa, 20. September, 18 Uhr
Bis 19. Oktober. Fr 18–20 Uhr, Sa/So 14–17 Uhr
www.marengel.ch